Reform der psych­ia­tri­schen Behand­lung

Unter den Ver­sor­gungs­lü­cken in der all­ge­mei­nen Medi­zin schießt die Psych­ia­trie den Vogel ab. Das Wissen um FASD ent­spricht – bewusst über­spitzt for­mu­liert – im Durch­schnitt der Kennt­nis­la­ge, die man als Laie beim Zahn­arzt bekommt, wenn man im War­te­raum gelang­weilt durch ein Maga­zin blät­tert und bei einem medi­zi­ni­schen Thema hän­gen­bleibt. Danach läuft man jah­re­lan­ge mit diesem Wis­sens­schnip­sel im Kopf herum und betei­ligt sich damit auf Partys an evtl. Small­talks zu diesem Thema.

So kommen einem jeden­falls die meis­ten Kom­men­ta­re der Psych­ia­ter vor, die in ihrem Stu­di­um mal was von Embryo­pa­thie gehört haben oder FASD für eine Kin­der­krank­heit halten. Außer­dem kämen die meis­ten psy­chi­schen Erkran­kun­gen ja mit irgend­wel­chen erb­li­chen Dis­po­si­tio­nen und sozia­len Trau­ma­ti­sie­rung daher, man müsste hier aber zunächst die akuten Sym­pto­me behan­deln.

Auch die Resis­tenz, ja Ver­wei­ge­rung gegen Auf­klä­rung ist her­aus­ra­gend. Sie scheint zu den unge­schrie­be­nen Regeln zu gehö­ren, denn auf sie trifft man über­all, bei allen und es gab mit Sicher­heit weder Abspra­che noch Anord­nung dafür. Warum das so ist, bleibt einem unbe­greif­lich, bis man ver­stan­den hat, wie medi­zi­ni­sches Wissen seine Seg­nun­gen bekommt. Bestimmt nicht durch einen enga­gier­ten Ange­hö­ri­gen. Gestan­de­nen FASD-Spe­zia­lis­ten fehlen diese Seg­nun­gen offen­sicht­lich auch, also kann man sie als selbst­er­nann­te Mode-Medi­zi­ner sehen, die sich wohl mit zeit­ge­nös­si­schen Strö­mun­gen pro­fi­lie­ren wollen, und somit ihre sei­ten­lan­gen Gut­ach­ten igno­rie­ren.  Das ver­langt quasi die medi­zi­ni­sche Ehre. Man ist ohne Zwei­fel im Recht, obwohl alle – ja alle! – Behand­lun­gen schei­tern.

Krass!

Hinzu kommt die kniff­li­ge Sach­la­ge, dass FASD eine Behin­de­rung und keine Erkran­kung ist, sodass, würde man FASD doch ernst nehmen, Pati­en­ten mit diesem Hin­ter­grund in solch einer Klinik fehl am Platz wären. Aber da sind ja noch die psy­chi­schen Erkran­kun­gen, auf die man sich mit Feu­er­ei­fer stürzt. Was? Die könn­ten kom­or­bid sein? Dro­gen­in­iti­iert? Aber der Pati­ent hört doch Stim­men, hat eine schi­zo­phre­ne Wahr­neh­mung, durch­lebt eine psy­cho­ti­sche Epi­so­de, hat Ängste, Depres­sio­nen, Zwangs­stö­run­gen, ist zeit­wei­se manisch, also bipo­lar, dazu sucht­krank, ja, und auch ein Trauma ließ sich feststellen…und sein unan­ge­pass­tes Ver­hal­ten spricht sowie­so für eine schwe­re Per­sön­lich­keits­stö­rung!

Fehlt noch was?

Wäh­rend dieser ver­schie­de­nen Dia­gno­sen an einem Pati­en­ten wird so ziem­lich alles aus­pro­biert, was der Medi­ka­men­ten­schrank her­gibt. Alle haben diese oder jene Wir­kung – kein Wunder- mal so, mal so. Hmm, nehmen wir doch noch mal das hier.

Nach jah­re­lan­ger Beob­ach­tung dieser che­mi­schen Ver­suchs­rei­he, wit­zeln wir manch­mal dar­über, dass es viel­leicht mit zwei Energy-Drinks am Morgen, evtl. ’ne Vier­tel Rital­in dazu, tags­über ein Joint mit medi­zi­ni­schem Haschisch und abends ’ne Benzo – oder sonst was zum Run­ter­kom­men – getan wäre. In Spit­zen mal was Ris­pe­ri­don-Ähn­li­ches, ok, oder doch nur das neue Mela­to­nin-Spray aus der Apo­the­ke? Jeden­falls: es gibt keine Medi­ka­men­te*, die FASD heilen!

Fazit: Die Psych­ia­trie hat keine Ahnung von FASD. Und das kann man nicht mehr so stehen lassen.  Dia­gno­se- oder Behand­lungs­ho­heit hin oder her. Es ist nicht nur schlech­te Arbeit, son­ders es scha­det mehr, als es nutzt. Ein Scha­den ent­steht auf meh­re­ren Ebenen: einmal durch Neben­wir­kun­gen bzw. toxi­sche Wir­kung von Psy­cho­phar­ma­ka, als auch auf der psy­chi­schen Ebene, die auf diese Gewalt­ein­wir­kung mit kom­ple­xen Trau­ma­ta reagiert, was bei­spiels­wei­se die häu­fi­gen Dia­gno­sen von Per­sön­lich­keits­stö­run­gen infra­ge stellt.

Aktion: Wir wollen mit allen Mit­teln und auf allen Ebenen dage­gen vor­ge­hen, unter Ein­bin­dung der Kos­ten­trä­ger, des Gemein­sa­men Bun­des­aus­schus­ses, der Ärz­te­kam­mer, der kas­sen­ärzt­li­chen Ver­ei­ni­gung, der Uni­ver­si­tä­ten, der For­schung all­ge­mein, dabei alle juris­ti­schen Mög­lich­kei­ten aus­schöp­fen und auch hier die Ergeb­nis­se den gesetz­ge­ben­den Orga­nen vor­le­gen, um wirk­li­che Ver­bes­se­run­gen durch­zu­set­zen. Alle Grund­la­gen dafür sind bereits vor­han­den. Sowohl die For­schung, als auch die Gesetz­ge­bung, allen voran das neue BTHG (Bun­des­teil­ha­be­ge­setz), haben das Pro­blem erkannt, beschrie­ben und ver­bind­li­che Ori­en­tie­run­gen for­mu­liert.

* Es gibt aber eine Reihe von Medi­ka­men­ten, die bei bestimm­te Defi­zi­ten oder Sym­pto­men hilf­reich sind.


Für eng­lisch­spra­chi­ge Leser, die das Thema ver­tie­fen möch­ten, emp­feh­len wir das Inter­view mit Dr. Susan Rich auf dem Blog FASD Suc­cess. Dr. Rich eräu­tert, warum wir trotz aller Kennt­nis­se über FASD immer noch mit Pro­ble­men bei Prä­ven­ti­on, Bewusst­sein, Erken­nung und Unter­stüt­zung zu kämp­fen haben.