Mal eins vorweg: Derzeit sind die, die mit FASD jeden Tag leben und sich oft mit großem Einsatz kümmern, die wirklichen Fachleute. Es gibt zurzeit noch keinen Abschluss, weder in der Medizin, noch in sozialer Arbeit, noch in der Juristik, der jemand nach akademischen Regeln als Fachkraft für FASD qualifizieren würde*. Die angebotenen Ausbildungen zur FASD-Fachkraft über den Sonnenhof in Berlin, über die FH Münster oder über den Internationalen Bund e.V. bieten einen sehr guten Einstieg in die gesamte Problematik, sind freie Initiativen, deren Abschluss den Wert einer intensiven Fortbildung hat, aber nicht mehr. Bis es zu zertifizierten Lehrgängen in den üblichen Ausbildungen kommt, ist das die beste Möglichkeit, sich für FASD zu qualifizieren und es sollte mehr davon geben.
Aber auch die ersetzt nicht die tagtäglichen Erfahrungen, die nahe Angehörige & Bezugspersonen machen. Warum das bei FASD so elementar ist, hat folgende Gründe:
- Ohne Wissen um die grundsätzliche Schädigung, die genau genommen eine körperliche Behinderung mit psychischen Konsequenzen ist, werden viele Defizite und Verhaltensweisen schlicht falsch interpretiert. Z.B. wird die grundsätzliche Überforderung bei selbst den alltäglichsten Anforderungen von Außenstehenden nicht gesehen, oder deren Ausmaß extrem unterschätzt.
- Wichtige Leitlinien derzeitiger Pädagogik – oder auch Moral – funktionieren im Alltag nicht. Im Gegenteil, sie machen alles nur noch schlimmer! Zu Begriffen wie Konsequenzen, Zielvereinbarungen, Vereinbarungen überhaupt, Eigenverantwortung, Selbstbestimmung u.v.m. muss man einen neuen Zugang finden und einseitig anfangen etwas zu verändern.
- Die kognitiven Einschränkungen lassen sich nicht mit den gängigen Tests erfassen.
- Nur enge Bezugspersonen erleben die zusätzliche Traumatisierung – und ja, dieser dramatische Begriff ist angemessen – die Menschen mit FASD durch dauernde Fehleinschätzung, falsche Erwartungen, Nichterfüllung ihrer Bedürfnisse usw. erfahren. Die alleine führt zu zusätzlichen Defiziten, deren Auswirkung von Außenstehenden ebenfalls nicht als solche identifiziert wird.
All diese besonderen Dispositionen muss man erleben, weil nur sie wirkliche Veränderungen in der eigenen Haltung auslösen. Und nur die versetzen jemand überhaupt in die Lage, Lösungen zu finden, wie alle mit FASD besser leben können. Alle Angehörigen entwickeln über kurz oder lang die Einstellung, dass es um Helfen statt Heilen geht, und sind gerührt davon, hinter den oft heftigen täglichen Konflikten á la Täglich grüßt das Murmeltier jene meist sehr liebenswerten und sensiblen Menschen zu entdecken, die mehr als viele andere auf ein grundsätzliches Verständnis angewiesen sind, nein mehr: ein Recht darauf haben!
Fazit: Lassen Sie sich nicht von Titel- oder Kittel-Autorität einschüchtern. Sie wissen es allermeistens nicht besser als Sie!
Entsprechend dieser Schieflage ist die Wahrnehmung der Belastung von Angehörigen und engen Bezugspersonen. Kritische Pflegeeltern müssen darum bangen, dass ihnen die Kinder weggenommen werden, engagierte Angehörige werden mit Beurteilungen ihres Verhaltens konfrontiert, die angesichts der Notlage ihrer Schützlinge nur mit einer Extra-Portion Resilienz zu ertragen sind. Entgegen großmäuliger Behauptungen, die Expertise von Angehörigen mit einzubeziehen, ist Ausgrenzung, Ignoranz, Geringschätzung bis hin zu offenen Verdächtigungen, selber Ursache für die Probleme zu sein, an der Tagesordnung. Das stellt im Alltag der besonderen Belastungen, für die man händeringend Verständnis und Unterstützung sucht, eine Kränkung und Ohnmachtserfahrung dar, die ihre eigenen Konsequenzen hat und deshalb eigene Aufmerksamkeit verdient.
Beiden geschilderten Umständen, dem Fachwissen und der besonderen Belastung, wollen wir hier ein Forum bieten.
*Alle FASD-Fachleute haben sich außerhalb ihrer anerkannten Ausbildung selbst weitergebildet.