„TIM – Ein Leben mit dem Feta­len Alko­hol­syn­drom“ Lese­pro­be und Rezen­si­on zum Buch

Im Buch beschreibt Moni­ka Rei­de­geld anschau­lich die bis­he­ri­ge Lebens­ge­schich­te von ihrem Adop­tivs­sohn Tim, mit Ergän­zun­gen von Tim selbst. Unse­re Mei­nung: abso­lut lesens­wert.

Lese­pro­be aus dem Buch

Die Fra­ge

„Mal ganz ehr­lich, Mama. Hät­test du mich auch adop­tiert, wenn du gewusst hät­test, was mit mir los ist?“ Die­se Fra­ge mei­nes Soh­nes Tim ging mir durch Mark und Bein. Er stell­te sie nach­dem wir erfah­ren hat­ten, dass er FASD hat. Heu­te kann ich die­se Fra­ge aus vol­lem Her­zen mit „Ja“ ant­wor­ten. Was aber hät­te ich getan, wenn mich das Jugend­amt 1980 gefragt hät­te, ob ich ein Kind­mit einem Feta­len Alko­hol­syn­drom zu mir neh­men wür­de? Wenn ich voll und ganz über die Sym­pto­me und Kon­se­quen­zen infor­miert wor­den wäre?

Ich bin sicher, ich hät­te „Nein“ gesagt. Ich hät­te mir die­se schwie­ri­ge Lebens­auf­ga­be weder zuge­traut noch zuge­mu­tet. Heu­te den­ke ich: Gut, dass ich nicht gefragt wur­de, denn dann hät­te ich weder die­sen lie­bens­wer­ten, inter­es­san­ten Men­schen ken­nen­ge­lernt noch hät­te ich etwas von sei­ner krea­ti­ven Kraft, sei­ner Begeis­te­rungs­fä­hig­keit und sei­nem anste­cken­den Mut mit­be­kom­men. Auch sein lei­den­schaft­li­ches Enga­ge­ment für erwach­se­ne Men­schen mit Feta­lem Alko­hol­syn­drom wäre mir ver­bor­gen geblie­ben.

Doch vor allen Din­gen hät­te ich die wert­vol­len Erfah­run­gen ver­säumt, die mich gezwun­gen haben, über den Tel­ler­rand der schein­ba­ren Nor­ma­li­tät zu bli­cken. So aber haben Tim und ich gemein­sam erfah­ren, was es wirk­lich bedeu­tet, an schwie­ri­gen Auf­ga­ben zu wach­sen und zu rei­fen.

Der Zivil­dienst über­for­dert Tim (19 Jah­re)

Was soll ich sagen? Tim hält sei­ne Ver­spre­chen nicht … kann sie gar nicht hal­ten. Mei­ne Erzie­hungs­we­ge wer­den immer unebe­ner. Ich schlep­pe Tim stol­pernd und jap­send hin­ter mir her. Schließ­lich lan­den wir auf einem Geröll­feld. Je unauf­halt­sa­mer der Tag kommt, an dem er sein Leben eigen­stän­dig etwas auf die Rei­he wird bekom­men müs­sen, umso deut­li­cher wird sei­ne Unfä­hig­keit, mit den ein­fachs­ten Anfor­de­run­gen zurecht­zu­kom­men. Es wird anstren­gend. Es wird zu anstren­gend. Wir rut­schen aus und schla­gen hin.

Zum Jah­res­an­fang 1999 beginnt Tim end­lich sei­nen Zivil­dienst. Im Ruck­sack hat er etli­che unlieb­sa­me Weg­ge­fähr­ten, die ihm unauf­hör­lich das Leben schwer machen: Sei­ne Kon­zen­tra­ti­ons­pro­ble­me, sein feh­len­des Auf­ga­ben­ver­ständ­nis, sein igno­ran­tes Kurz­zeit­ge­dächt­nis, sein man­gel­haf­tes Begrei­fen von Zusam­men­hän­gen, sei­nen ste­ti­gen Hang zum Rück­zug, die gro­ße Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit und deren Zwil­ling, die ent­glei­sen­de Selbst­re­gu­la­ti­on, die schnell den Stin­ke­fin­ger zeigt, wenn es um die Regeln geht, die man im Mit­ein­an­der ein­hal­ten soll­te – und die ihm ins Ohr flüs­tert, ein Ziel zu errei­chen sei unsin­nig.

Ich aber bin erleich­tert, dass end­lich etwas pas­siert und guten Mutes, denn ich bin über­zeugt: Dort wür­de er Kon­tak­te schlie­ßen, sich inte­grie­ren, etwas für das Leben ler­nen. Wenn mei­ne Erzie­hungs­me­tho­den ihn nicht errei­chen, wür­de er dort sicher­lich wach wer­den. Zu die­sem Zeit­punkt glau­be ich noch allen Erns­tes, die­se Tätig­keit wer­de ihm nicht nur lie­gen, son­dern auch sein Selbst­be­wusst­sein stär­ken. Damit lie­ge ich kom­plett dane­ben, denn Tim wen­det sei­ne und die von vie­len Men­schen mit FASD erfolg­reich erprob­te Stra­te­gie an: Er erweckt den Ein­druck, dass er begrif­fen habe, und erklärt sein Ein­ver­ständ­nis mit sei­nem typi­schen „Ja, ja“. Das bedeu­tet aber nur, dass er sei­ne Ruhe haben will. So drück­te er es vor Kur­zem aus.

„Ich mache das schon“, sage ich immer. Die­ser Spruch beglei­tet mich schon lan­ge. Und seit­dem ich die Dia­gno­se habe, habe ich erst ver­stan­den, war­um man als Mensch mit FASD das sagt. Das ist zum Bei­spiel so: Ich möch­te Din­ge eigent­lich ger­ne selbst­stän­dig und allei­ne machen. Ich habe aber frü­her nie rich­tig ein­schät­zen kön­nen, dass das eigent­lich ohne Hil­fe nicht geht. Ich woll­te es ja wirk­lich allei­ne machen, aber ich wuss­te gar nicht, wo ich anfan­gen soll­te. Ich konn­te zwar unter­schei­den, was wich­tig und was unwich­tig war, aber ich war bei eini­gen Sachen überf ordert. Wenn es zu schwie­rig wur­de, habe ich Mah­nun­gen irgend­wo in der Schub­la­de ver­steckt und
gesam­melt, aber weg­ge­wor­fen habe ich nichts.

Als ich an einem scheuß­li­chen Regen­tag Anfang Febru­ar etwas frü­her von der Arbeit nach Hau­se kom­me, sehe ich von drau­ßen Licht in der Küche. Ich betre­te die Woh­nung, wo mich ange­nehm lei­se Musik emp­fängt. Ich stel­le mei­ne Tasche ab, spä­he in die Küche und traue mei­nen Augen nicht: Tim spült. „Aha, es gesche­hen noch Zei­chen und Wun­der“, den­ke ich freu­dig über­rascht. „Nanu“, fra­ge ich „Was machst du denn schon hier?“, umar­me ihn, leh­ne mich schmun­zelnd in den Tür­rah­men und betrach­te ihn mit wohl­wol­len­dem Lächeln. „Ich konn­te frü­her Fei­er­abend machen“, ist sei­ne etwas zu schnel­le Ant­wort. In sei­nem Blick ist etwas scharf Beob­ach­ten­des, das ich aber nicht wei­ter beach­te. Lang­sam wen­det er den Blick von mir ab, kon­zen­triert sich auf die klei­nen Sei­fen­lau­gen­bla­sen im Spül­was­ser und reibt unauf­hör­lich an einem ein­zi­gen Tel­ler her­um, der längst sau­ber ist. Unge­wöhn­lich, sonst ist er nicht so gründ­lich. Gut gelaunt neh­me ich ein Geschirr­tuch zur Hand und begin­ne abzu­trock­nen. „Hast du Hun­ger?“, fra­ge ich.

Er nickt. Nach geta­ner Arbeit und ein paar belang­lo­sen Sät­zen ver­schwin­det er, wie gewohnt, in sein Zim­mer. Ich berei­te das Essen vor. Ich kann heu­te kaum glau­ben, wie naiv ich damals war, obwohl er mich schon oft belo­gen und auch bestoh­len hat­te. Offen­sicht­lich woll­te ich um jeden Preis eine hei­le Welt. Wie sehr man sich doch
selbst betrü­gen kann. Mein Sohn kommt nach­mit­tags immer etwa eine hal­be Stun­de nach mir nach Hau­se. Aber ab die­sem Zeit­punkt ist Tim häu­fi­ger vor mir zu Hau­se. Das wun­dert mich. „Ist im Moment nicht viel zu tun“, ist stets sein Kom­men­tar.

In der fol­gen­den Zeit macht Tim sich dar­an, mich davon zu über­zeu­gen, dass es ihm im Sal­va­dor-Allen­de-Haus, in dem er sei­nen Zivil­dienst absol­viert, gut gefällt. Mei­ne vie­len Fra­gen beant­wor­tet er bereit­wil­lig. „Super. Es ist alles in Ord­nung.“ Er ist gut gelaunt. Wir sit­zen abends im Wohn­zim­mer. Er legt mir char­mant einen Arm um die Schul­tern und sieht mich an: „Mama, mache dir kei­ne Sor­gen. Ich krie­ge das hin.“

Er malt eigens für mich ein bun­tes Bild, auf das ich ger­ne schaue, und sage: „Seht mal alle her, das hat mein Sohn gemalt. Ist er nicht talen­tiert?“ Auf die­sem Bild kann man einen zufrie­de­nen, lebens­tüch­ti­gen jun­gen Mann erken­nen, der sein Leben meis­tert und die Start­schwie­rig­kei­ten hin­ter sich gelas­sen hat. „Der Zivil­dienst tut ihm gut“, resü­mie­re ich. Ich durch­schaue sei­ne erst­klas­si­ge Tak­tik nicht, die er sich zur Beru­hi­gung für sei­ne gestress­te Mut­ter zurecht­ge­legt hat. So erreicht er auch, dass ich nicht wei­ter in ihn drin­ge. „Gut, nun muss er nur noch über­le­gen, was er wer­den will“, den­ke ich daher. „Aber das wird schon.“

Zum ers­ten Mal schla­ge ich den Weg des gelas­se­nen Abwar­tens ein – über­zeugt, dass die kon­flikt­rei­che Zeit vor­bei ist. Ich wer­de ihn weder moti­vie­ren noch wei­ter mit­schlep­pen müs­sen. Es ist also doch die über­bor­den­de Puber­tät gewe­sen. Alles wür­de sei­nen Gang gehen. Ich freue mich. Wie es aus­sieht, war es mei­ne müt­ter­li­che Unfä­hig­keit zu akzep­tie­ren, dass aus einem schüt­zens­wer­ten, nach fri­scher Milch duf­ten­den Baby, einem nied­li­chen, zart­glied­ri­gen Engel­chen mit blon­den Locken vor­über­ge­hend ein puber­tie­ren­des, Ziga­ret­ten rau­chen­des, ver­gnü­gungs­süch­ti­ges Unge­heu­er gewor­den war. Ich leh­ne mich seit lan­ger Zeit zum ers­ten Mal wie­der vor­sich­tig zurück.

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Im Zivil­dienst war ich Haus­meis­ter. Da muss­te ich dau­ernd Bet­ten bezie­hen. Das war schwie­rig. Die waren da genau­so pin­ge­lig wie mei­ne Mut­ter und haben gesagt, ich stel­le mich blöd an, weil ich das nicht machen woll­te. Jeden Tag gab es Ärger mit irgend­ei­nem. Die haben mich total bevor­mun­det. Ich woll­te doch ein­fach nur mei­ne Ruhe haben. Und dann die rie­si­ge Tele­fon­an­la­ge und die vie­len Knöp­fe. Die blink­ten alle auf ein­mal, wenn einer ange­ru­fen hat. Ich wuss­te gar nicht, wel­chen Knopf ich zuerst drü­cken soll­te. Aber die ande­ren Zivis konn­ten das. Komisch. Ich habe auch gar nicht ver­stan­den, wie die sich das mer­ken konn­ten. Mit denen hat­te ich auch nicht viel Kon­takt, aber so waren die ganz okay.

Wenn Grup­pen ange­reist sind, war ich manch­mal ganz allei­ne. Die muss­ten dann einen Anmel­de­zet­tel aus­fül­len und ich muss­te denen die Zim­mer­schlüs­sel aus­hän­di­gen oder dar­auf ach­ten, dass sie die bei Abrei­se wie­der zurück­ge­ben. Das war immer sehr stres­sig und chao­tisch. Das dau­er­te manch­mal von mit­tags bis abends. Geschafft habe ich das immer, das war nicht das The­ma, aber meis­tens war das nicht rich­tig. Und dann gab es wie­der Ärger.

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Ein bit­te­res Weih­nachts­fest (31 Jah­re)

„Ich möch­te ja mein Leben ger­ne in den Griff bekom­men … aber es gelingt mir irgend­wie nicht“, schluchzt Tim und bricht dann völ­lig zusam­men. Er ist blass, unge­wa­schen und steckt in häss­lich-grau­en, abge­tra­ge­nen Sachen, die ihm nicht gehö­ren und viel zu groß sind. Ich sit­ze ihm kurz vor Weih­nach­ten 2011 im unbe­hag­li­chen Besuchs­raum des Cas­trop-Rau­xe­ler Gefäng­nis­ses gegen­über.

Erst vor ein paar Tagen hat­te ich mich mit mei­nem Sohn ver­ab­re­det. Wir haben seit einem Jahr – nach vier Jah­ren Atem­pau­se – wie­der Kon­takt zuein­an­der. Ich bin ver­söhn­lich gestimmt und wie­der opti­mis­tisch, dass er sein Leben mit mei­ner Hil­fe nun gere­gelt bekom­men wird. Wir wol­len eini­ge wich­ti­ge Din­ge bespre­chen. Er erscheint aber nicht, und ich gehe frus­triert davon aus, dass er den Ter­min für unwich­tig erklärt und wie­der ein­mal einem plötz­li­chen Impuls fol­gend eine ande­re Ver­ab­re­dung getrof­fen hat. Ich bin ent­spre­chend ärger­lich.

Als ich von einem Ein­kauf zurück­kom­me, blinkt der Anruf­be­ant­wor­ter. Tims Stim­me. Gott sei Dank. Aber was er sagt, legt mich lahm. „Mama, ich bin im Gefäng­nis. Ich konn­te dich ges­tern nicht anru­fen. Mor­gen wer­de ich nach Cas­trop-Rau­xel ver­legt … Kannst du mir Anzieh­sa­chen vor­bei­brin­gen?“ Sei­ne Stim­me klingt sorg­los. Gefäng­nis? Ich star­re bestürzt ins Lee­re. Die Ein­kaufs­ta­sche stellt sich wie von selbst ab.

Was, um Him­mels wil­len, ist denn jetzt schon wie­der pas­siert? Es hat dies­mal doch alles so gut aus­ge­se­hen. Ich kann mir über­haupt kei­nen Reim auf die Gescheh­nis­se machen. „Nimmt denn die­ser Alp­traum über­haupt kein Ende?“, den­ke ich. Mein Herz schlägt wie ver­rückt, ich kann kaum einen kla­ren Gedan­ken fas­sen. Am nächs­ten Tag will ich für ein Wochen­en­de zu einer Freun­din nach Ber­lin fah­ren. Soll ich alles absa­gen? Mein Ärger siegt. Ich ken­ne doch Tims Ver­hal­tens­wei­sen. Es ist immer das Glei­che. Er pro­du­ziert ein Desas­ter nach dem ande­ren, was in der Regel durch Zufall ans Tages­licht kommt.

Mein Ex-Mann und Tims Vater, und ich hat­ten über Jah­re immer wie­der sei­ne Koh­len aus dem Feu­er geholt und ihn ermahnt. Wir hat­ten ihm schließ­lich ver­zie­hen, weil er unser Sohn ist. Er ver­sprach Bes­se­rung, atme­te nach erfolg­ter Abso­lu­ti­on durch und lehn­te sich befreit zurück.

Zur Web­sei­te „TIM – Ein Leben mit dem Feta­len Alko­hol­syn­drom“.


Rezen­si­on zum Buch

von Udo Beis­sel

Gut, nun muss ich dazu nichts mehr schrei­ben: Über das Dra­ma, von dem Men­schen mit FASD und ihre Ange­hö­ri­gen jah­re­lang gebeu­telt wur­den, als sie von FASD noch nichts wuss­ten.

Das hat Moni­ka Rei­de­geld mit Ihrem Buch über sich und mit Tim wirk­lich aus­führ­lich erle­digt.

Bei­na­he uner­träg­lich zu lesen, was pau­sen­lo­se Miss­ver­ständ­nis­se aus Unwis­sen­heit bei allen Betei­lig­ten alles anrich­ten! Natür­lich wur­de ich, wie wahr­schein­lich alle Leser*innen mit ähn­li­chen Erfah­run­gen, beim Lesen auch noch dau­ernd an mei­ne eige­nen, ähn­lich zer­mür­ben­den Erleb­nis­se mit mei­nen Lie­ben erin­nert. Das ist dop­pelt her­aus­for­dernd, denn – ähn­lich wie es die Autorin schil­dert – will man die­se Erfah­run­gen immer wie­der ver­ges­sen, über­schrei­ben, ja sogar bewusst ver­drän­gen, denn auch wenn FASD als Erklä­rung im Nach­hin­ein eini­ges ent­schul­digt, die jah­re­lan­gen Fehl­ein­schät­zun­gen, Über­re­ak­tio­nen und teils hef­ti­gen und oft irr­sin­ni­gen Strei­te­rei­en sind nun mal pas­siert und haben Spu­ren hin­ter­las­sen.

Aber da sind ja noch die vie­len ande­ren, die sich jetzt für das The­ma FASD inter­es­sie­ren, weil es sich ja doch lang­sam her­um­spricht, weil sie in ihrem Arbeits- oder auch pri­va­ten Umfeld damit kon­fron­tiert wer­den, oder ent­de­cken, dass sie es schon immer wur­den. Für die ist es eine Innen­an­sicht – ACH­TUNG: abso­lut lesens­wert – die man mei­ner Mei­nung nach zu den über­all nach­zu­le­sen­den Fak­ten drin­gend braucht, um wirk­lich zu ver­ste­hen, dass der Umgang mit FASD mehr erfor­dert, als nur etwas dar­über zu wis­sen. Man muss eine Ahnung davon bekom­men, wie es sich anfühlt. Es erfor­dert empa­thi­sches Ver­ständ­nis und eine gewis­se Bereit­schaft, sei­ne eige­nen Wer­te und gelern­ten Prin­zi­pi­en hin­ten­an zu stel­len oder zumin­dest sehr krea­tiv zu erwei­tern, um damit dann lebens­läng­lich zu impro­vi­sie­ren.

Moni­kas Rei­de­geld beschreibt ihre Erleb­nis­se, ihre Zwei­fel und Ver­zweif­lung mit Tim und sich selbst aus einer zwar per­sön­li­chen, aber für ande­re sehr nach­voll­zieh­ba­ren Per­spek­ti­ve, in die man sich, trotz der wahr­schein­li­chen Unter­schie­de, wie man selbst (über)reagiert hat oder hät­te, sehr gut hin­ein­ver­set­zen kann. Ihr flüs­si­ger, sach­li­cher Schreib­stil hilft dabei, erlaubt aber auch kei­ne Ablen­kung.

Wenn es schon nicht so wäre, man wür­de es sich bestimmt wün­schen, dass Tim selbst auch zu Wort kommt. Man möch­te unbe­dingt lesen, wie er die Din­ge sieht und erlebt hat. Dann wird auch das Aus­maß der Anein­an­der-Vor­bei-Quä­le­rei­en deut­lich. Zum Glück wuss­te ich von Anfang an, dass damit das Buch auch kein Schre­cken ohne Ende sein wird. Es müs­sen sich eini­ge Din­ge zum Bes­se­ren gewen­det haben – nach der Dia­gno­se, sonst wäre es zu so einer Zusam­men­ar­beit nicht gekom­men. Und so ist es auch. Das geän­der­te Ver­ständ­nis, die rich­ti­gen Bezugs­per­so­nen, ein geschütz­ter Rah­men und pas­sen­de Ange­bo­te für die Ent­de­ckung sei­ner Wün­sche und Talen­te haben Wun­der bewirkt. Nein, nichts Über­na­tür­li­ches, son­dern nur die Erkennt­nis, dass es einen Weg her­aus aus dem Dau­er­elend für alle gibt und für Men­schen mit FASD end­lich ein rich­ti­ges Leben.