Alkohol in der Schwangerschaft – Die unterschätzte Gefahr – von Dagmar Elsen (Journalistin, Buchautorin, Bloggerin, Initiatorin und Vorsitzende des Vereins Happy Baby No Alcohol).
Schulz-Kirchner Verlag, 2022
Leseprobe
Rezension von Nevim Krüger
Noch ein Buch über FASD könnten die Leser*innen, die sich bereits in der „FASD-Community“ tummeln, denken. Relativ schnell wird klar, dass es sich um ein bisher in der Form noch nicht vorliegendes Buch handelt. Hier geht es im Kern nicht um die Beschreibung und Entstehung von FASD, sondern eher um die großen Fragen zum gesellschaftlichen, politischen und behördlichen Umgang bzw. die Unterlassung mit den Besonderheiten dieser Behinderung und deren Entstehung.
Die Autorin, Dagmar Elsen ist Journalistin und durch einen in ihrem unmittelbaren Umfeld mit FASD lebenden Jungen auf das Thema aufmerksam geworden. Eben dieser kluge Junge hat erkannt, dass sie doch genau die Richtige ist, über ihn und seine vermeidbare Behinderung zu schreiben. Er hat sie ermutigt, ja vielleicht sogar aufgefordert, über FASD zu berichten; es darf doch nicht sein, dass noch mehr Kinder von dem gleichen Schicksal ereilt werden. Das ist ein Auftrag, den kann und darf man nicht ablehnen! Und so hat sich Dagmar Elsen auf den Weg gemacht, mit vielen Fragen, Hoffnungen, Wünschen und auch ein bisschen Wut und Unverständnis im Gepäck.
Dagmar Elsen kommt gleich zur Sache! Da wird nichts hinter vorgehaltener Hand schöngeredet oder bagatellisiert, auch die sehr schmerzhaften und kaum erträglichen Geschichten serviert sie schonungslos und einer absoluten Offenheit. Sie hat auf ihrem Weg mit vielen Menschen, die in welcher Form auch immer mit FASD zu tun haben, gesprochen und sich ein Bild gemacht. Da sind die Menschen mit FASD: Kinder, Jugendliche und Erwachsene, Sozialarbeiter*innen, Therapeut*innen, Psycholog*innen, Ärzt*innen, Forschende, Eltern einschließlich Pflege- und Adoptiveltern, Ehrenamtliche und Aktivist*innen. Sie beleuchtet sämtliche FASD-betreffende Systeme: Familie, Schule, Jugendhilfe, Eingliederungshilfe, Arbeitsagenturen, Wohnformen und Justiz. Besonders auch den leiblichen Müttern räumt sie wertschätzenden Raum ein.
Die Autorin schafft es wunderbar, die vielen Aussagen und Geschichten so zu sortieren und miteinander zu verweben, weshalb schnell klar wird, dass FASD in Anbetracht seiner weitreichenden, vielschichtigen und gravierenden Folgen, sowohl humanitär als auch monetär, trotz vieler Bemühungen von Selbstvertretungsverbänden und Engagierten Menschen, politisch, gesellschaftlich und im gesamten Behördenapparat fahrlässig unterrepräsentiert ist.
Bei allen unterschiedlichen Expertisen, Lebenssituationen und Menschen kommt die Autorin doch immer wieder zu dem Schluss, dass es einfach nicht reicht. Gut, dass Dagmar Elsen mit Experten und Fachleuten spricht, die praxiserprobte Lösungen einbringen und für einen Paradigmenwechsel, gerade in der Pädagogik plädieren. Lösungswege und kreative Ideen liegen auf dem Tisch; sie wollen und müssen umgesetzt werden.
Aktuell gibt es noch nur wenige erfreuliche Einzelfälle, in denen Früherkennung, gutes Helfernetzwerk und soziales Umfeld gut funktionieren und den Menschen mit FASD einen schützenden Rahmen bieten. Eher noch regelhaft ist es der Fall, dass Menschen mit FASD und ihre Bezugspersonen an sämtlichen, das gesellschaftliche Leben betreffende Stellen, vor teils unüberwindbaren Hürden stehen und nicht selten einen lebenslangen Spießrutenlauf durchleiden.
Jedem, der das Buch (hoffentlich) liest, wird unmissverständlich klar: sollte sich nicht schnellstmöglich hinsichtlich Prävention, Akzeptanz durch Anerkennung von FASD als Behinderung und verlässlichen Hilfen eine umfassende Veränderung einstellen, wird Millionen Menschen mit FASD ein würdiges Leben nicht möglich sein.
Rezension von Udo Beissel
Ja, ja, genau so ist es, durchflutet es mich beim Lesen immer wieder. Am liebsten würde ich dieses Buch einer Reihe von Leuten bis zur Erschöpfung um die Ohren hauen, um mich dann befriedigt verhaften zu lassen. Denn seit ich versuche, die Diagnose FAS bei meinen damals schon erwachsenen Kindern, dem langjährigen Kinder- und Jugendpsychiater, den Therapeuten und Familienhelfern, den stationären Psychiatern und Bezugstherapeuten, dem Betreuungsgericht, dessen Gutachter und Sachverständigen, schließlich den berufenen gesetzlichen Betreuern, dann den sozialen Einrichtungen und ambulant psychiatrischen Diensten, als auch den Geschwistern der inzwischen verstorbenen Mutter zu erklären, ist mein Image im freien Fall.
Ein Gutachten, das vom Gericht aufgrund einer Betreuungsverlängerung und Prüfung der Geschäftsfähigkeit meines ältesten Sohnes in Auftrag gegeben wurde und für das ich seitens der Gutachterin auch befragt wurde, hat es dann auf den Punkt gebracht: Ich bin ein schwer persönlichkeitsgestörter Mann, der seine Kinder mit sittenwidrigen Methoden manipuliert, um damit eigentlich nur seinen Eigennutz zu verschleiern, nämlich sich an ihrem Erbe zu bereichern, welches er seit dem Tod der Mutter verwaltet. Es wird angenommen, dass ich mit diesem kranken Verhalten wohl auch zur Beeinträchtigung der Lebenstüchtigkeit meiner Kinder beigetragen habe, wenn nicht gar der Grund dafür bin.
Gut, ich habe bei Fragen der Gutachterin kein Blatt mehr vor den Mund genommen, sogar mit Verweigerung gedroht, sollte ein weiterer Besserwisser auf meine Kinder losgelassen werden. Nach jetzt schon mehreren Jahren Inkompetenz und Ignoranz in Sachen FAS in den helfenden Systemen – und dazu gehört die Gutachterin ja letztlich auch – konnte ich einfach nicht mehr nett sein. Mit viel Sympathie, oder wenigstens Verständnis für meinen Standpunkt war also nicht zu rechnen. Aber dass sie den Irrsinn besaß, aus unverhohlener Kritik und verzweifeltem Eigensinn eines zugegeben überreizten Angehörigen den eigentlichen Täter zu basteln, das war schon krass unerwartet.
Aber geht’s hier nicht um ein Buch? Warum erzählt der das alles so manisch, mag man sich fragen. Ist wohl was dran, von wegen verhaltensauffällig. – Ja, ist es auch! Denn jahrelange vergebliche Mühen gehen nicht spurlos an einem vorbei. Aber hätte die Gutachterin dieses Buch von Dagmar Elsen gelesen, dann wäre es wohl zu dieser fast bösartigen Verleumdung im professionellen Kleid erst gar nicht gekommen. Denn nicht nur die Gutachterin, sondern auch x‑beliebige andere Leser und Leserinnen würden ohne Mühe verstehen, was es denn mit diesem FAS auf sich hat.
Was Betroffenen wie Angehörigen passiert, wenn sie sich auf der Suche nach Information oder Unterstützung in die Arme helfender Systeme begeben. Sie erfahren auch, dass ein Gläschen doch schaden kann, dass FAS alles andere als ein Phänomen sogenannter sozial schwacher Gruppen ist und dass es nicht die Erziehungsfehler der Eltern sind, sondern eine handfeste hirnorganische Schädigung, die ihre Kinder durch alle Raster fallen lässt. Sie werden nicht mehr einer verbreiteten Meinung folgen, dass FAS sich auswächst, sondern vielmehr behalten, dass Menschen mit FAS meist lebenslange Unterstützung benötigen. Sie staunen vielleicht, was sich alles ohne langes Studium zum Besseren wendet, wenn man bestimmte Eigenarten verstanden hat, aufhört sich selbst Vorwürfe zu machen oder wenigstens die unterschwelligen Enttäuschungen weglässt.
Ich würde sogar sagen, dass dieses Buch es schafft, möglicherweise voreingenommene Leser und Leserinnen an ein Thema heranzuführen, gegen das es viele unbewusste Widerstände gibt. Denn Alkohol wird ja allgemein nicht wirklich als Droge gesehen, er wird eher vielfach unterschätzt, der eigene Konsum wird heruntergespielt. Die leckeren Tröpfchen sollen wirklich dermaßen umfassende Schäden bewirken? Wird hier nicht wieder eine neue Sau durch das Dorf der Spaßverderber getrieben? All diese möglichen Reflexe lässt die Art der Präsentation und der Ton der Schilderungen in diesem Buch gar nicht erst aufkommen. Man kann es also jedem und jeder in die Hand drücken. Es wird keine Rückmeldungen geben, was man den da jemand zugemutet hätte. Es eignet sich also bestens dazu, es weiter zu verschenken.